Unser Erfahrungsbericht
Wer hätte im Jahr 2022 an einen Krieg in Europa gedacht? Wer hätte gedacht, dass Putin so weit geht? In Erzählungen meines Urgroßvaters kann ich mich noch sehr gut erinnern. Erinnern an die Zeiten, als ich als kleines Mädchen seine Kriegserlebnisse, unter Tränen in den Augen, anhörte. Gedanken an meine Uroma, die jedes Brot bevor sie es anschnitt, mit einem Kreuz segnete. Überlebensgeschichten, die sehr beeindruckend waren.
2022 –> Ein Albtraum wird wahr, KRIEG!
Badische-Zeitung original Beitrag (Link)
März 2022
Über die Medien verfolgen wir, wie die Invasion von Russland in die Ukraine beginnt. Leid, Zertrümmerung und Entsetzen. Wie hilflos die Menschen sind.
Es wird zeitnahe über die vielen Flüchtlinge berichtet. Über unseren Dorfchat bittet der Bürgermeister die Bürger Wohnrauchmöglichkeiten anzubieten. Das machen wir sofort. Gleichzeitig biete ich auch meine Unterstützung als Sozialarbeiterin an.
Die Rückmeldung von Bekannten ist positiv. Dass wir das machen TOP, aber auch der ganze damit verbundene Stress. Über Stress, über die Situation, dass wir unser Heim mit fremden Menschen teilen und wir sie 24 Stunden um uns haben, möchten wir uns gar keine Gedanken machen. Uns hätte es genauso treffen können. Dann wäre ich als Mutter mit zwei Kindern auf der Flucht. Da gibt es kein Nachdenken über “Kleinigkeiten”. Wir KÖNNEN und MÜSSEN helfen. Da sind wir uns alle einig.
Schlagartig ruft uns dann die Gemeinde an und fragt, wie schnell wir jemanden aufnehmen können. Unsere Antwort: SOFORT. Ein Bus mit 14 Flüchtlingen soll am nächsten Tag kommen. Wir bieten Wohnraum für 3 Personen an.
Der erneute Anruf, dass der Bus früher als geplant um 9 Uhr ankommt. Die Flüchtlinge haben die Möglichkeit in Altenheim gemeinsam ein Frühstück einzunehmen und sich dann gleich bei der Gemeinde anzumelden. Abholzeit ist auf 10 Uhr geplant.
Wir wissen nicht, was uns erwartet. Wir möchten wieder einmal „nur“ helfen. Wie bei Samy, dem Dackel.
Ankunft Rathaus in Altenheim
Ich sehe bereits aus dem Auto den großen Reisebus stehen. Leicht aufgeregt gehe ich in das Rathaus und werde von den Mitarbeitern der Kommune nett begrüßt. Sie erklären mir, dass es chaotisch ist. Eigentlich hätten über 50 Menschen kommen sollen; es waren allerdings nur 26 im Bus, da die Grenzen dicht gemacht wurden. Diese 26 werden nun auf die Kommunen Neuried und Schutterwald verteilt. Da sich aufgrund der Anreise bereits Gruppen gebildet haben und es auch große Familienkonstellationen gibt werde ich gleich gefragt, ob wir auch 5 Personen aufnehmen können. Die andere Möglichkeit sind 2 Familien, insgesamt 7 Personen, die nicht getrennt werden möchten. PUH, da muss ich ehrlich gesagt erst einmal schlucken. Mir wird berichtet, dass es sich um Großeltern, die Töchter und um das Enkelkind handelt. Also 4 Erwachsene und ein Kind. Ich sage zu; mit dem mulmigen Gefühl, wir werden das schon irgendwie schaffen. Da 5 Personen nicht im Auto Platz haben, fahre ich der netten Mitarbeiterin der Gemeinde hinterher und hole die drei Generationen mit dem wenigen Hab und Gut ab. Die Begegnung ist freundlich. Ich werde mit meinem Nachnamen vorgestellt und ergreife die Initiative und stelle mich mit meinem Vornamen Natascha vor. Komische kurze Stille. Ich bin mir mit meinem Namen zuletzt als ich als Kind erfahren habe, dass es sich um einen russischen Namen handelt, mir komisch vorgekommen. Wir fahren nun nach Hause. Es wird alles ausgeladen. Schnell ist klar, dass mit der Übersetzungsapp das nicht funktioniert. Da – sie sprechen Russisch. Englisch können sie leider nicht. Nachdem die App umgestellt ist, kommunizieren wir. Sie richten sich ein und ruhen sich aus.
Das 10-jährige Mädchen kommt zu mir und fragt mich in gebrochenem Englisch good day? Ich sage, yes, gut day und lächle. Sie umarmt mich promt und freut sich.
Da wir so viele Personen nicht eingeplant haben und wir im Gästeraum nicht Platz für 5 Personen haben überlege ich wie wir es machen können. Ich stelle das Bett von unserem Sohn um, ziehe es zu einem 140 cm Bett aus. Ich hoffe, dass das für ihn in Ordnung ist!
Als er nach Hause kommt erkläre ich ihm die Situation und frage, ob das für ihn in Ordnung ist, er reagiert gleich: Das ist doch selbstverständlich. WOW. Jakob schläft bei Eva im Zimmer in ihrem Baumhaus.
Nachmittags lernen die Kinder sich kennen. Eva stellt sich mit der Nachbarin vor und das Mädchen teilt uns gleich mit der APP mit, dass sie gerne mit den Kindern spielen möchte. Sie spielt dann mit Jakob Backgammon und die zwei verstehen sich gleich gut.
Sogar Eva nutzt die APP und kommuniziert mit dem Handy mit dem Großvater. Stellt Fragen, die wir uns als Erwachsener nicht trauen würden. Woher er kommt, über den Krieg. Der Großvater ist ihr sehr zugewandt und erklärt ihr die Situation.
Vor dem gemeinsamen Abendessen betet der Großvater und muss weinen. Er versucht, es zu unterdrücken. Wir sind alle den Tränen nahe.
Da die Familie nichts zum Anziehen hat, erkundige ich mich in der Nachbarschaft nach Kleidung. IHR seid so toll. Ein paar Minuten später habe ich schon Wäschekörbe voll mit Schuhen und Kleidungsstücken.
Spontan klingeln zwei Dolmetscherinnen. Hier klären wir weitere Fragen. Anmeldung, Arbeit, Wohnung, Führerschein etc.
Das Mädchen möchte mit Jakob in die Schule gehen. Deshalb nehme ich mit der Rektorin und der Klassenlehrerin Kontakt auf. Weitere Türen gehen auf. Sie kann mitkommen, das ist kein Problem.
Als wir Kleidung für die Schule aussuchen fragt mich die Mama bei einer Jeans und einem Shirt, ob man sowas tragen darf? Ich bin irritiert. Sie erklärt mir, dass sie eine strenge Schuluniform in der Ukraine tragen.
Später, kommt die Mama zu uns und teilt mit, dass ihre Tochter zu viele Gefühle hat und erst einmal doch abwarten möchte mit der Schule. Verständlich.
Somit endet der erste Tag
Natascha Hartmann
Der zweite Tag
Ich nehme mit der Gemeinde Kontakt auf, um ein paar Dinge zu klären. Größere Mülltonne, Kleidung; Anmeldung etc.
Wir bekommen Müllsäcke für den Mehrbedarf eines neun Mitgliederhaushalts. Die Anmeldung ist für heute Nachmittag geplant. Bei uns im Ort. Morgen sollen Fotos gemacht werden. Hierfür hat sich ein Fotograf kostenlos bereit erklärt, für alle Flüchtlinge biometrische Fotos zu machen.
Donnerstags hat Jakob Fußballtraining. Ich frage spontan, ob das Mädchen mitgehen möchte. JA. Sie wird von den Trainern gerne, auch spontan, aufgenommen.
Der dritte Tag
Kostenloses anfertigen von Passfotos. Dort treffen wir rund 25 ukrainische Flüchtlinge. Von Kleinkinder über Teenager, mit den Eltern. Die Flüchtlinge lernen sich kurz kennen und ich selbst andere „Helfer“ und Mitarbeiter von der Gemeinde. Wir erhalten aufgrund von Aufrufen über WhatsApp ganz viele Kleidungsstücke.
Jakobs erster Schnuppertag bei den Pfadfindern. Ich rufe die Teamleiterin an und frage, ob ich unser Mädchen mitbringen darf. Wieder ein herzliches JA und die Leiterin spricht sogar russisch.
Erster Ausflug sodann mit einem vollen Auto: drei Kinder und der Großvater. Wir bringen das Mädchen und Jakob zu den Pfadfindern, Eva ins Kinderturnen und ich gehe mit dem Großvater einkaufen. Ich teile ihm über Google Übersetzer mit, dass er alles in den Einkaufswagen legen kann, was er/ seine Familie braucht. Er macht lediglich ein Netz, Kartoffeln, Trauben, Butter und Cornflakes in den Wagen.
Während der Autofahrt erzählt mir der Großvater, was er beruflich gemacht hat und zeigt viel Interesse an unserem Land in Bezug auf Stromversorgung, Abwasser etc.… Das fragt er eine Frau ^^
Der vierte Tag
“Klingeling, Klingeling“, uns wird von Kaffee, Hygieneartikel alles aus der Nachbarschaft und dem Freundeskreis gebracht. Anastasia erhält einen echt wunderschönen Rucksack für die Schule, Malsachen etc. Danke an Frau Adam vom Kiddy-Klick.
Abends geht es einer der Frauen nicht gut. Da uns die Situation zu unsicher ist beschließen wir mit ihr ins Ortenau Klinikum zu fahren. Dort werden wir freundlich in Empfang genommen. Ich erkläre die Situation, dass sie noch keine Aufenthaltserlaubnis hat etc. Es sei alles kein Problem. Die Dolmetscherin übersetzt der netten Ärztin telefonisch die Beschwerden. Wir gehen mit einem Rezept wieder nach Hause.
Der fünfte Tag
Da so viel los war, hatte ich abends keine Kraft mehr mir Notizen zu machen. Zusammengefasst hat uns fast jeder geholfen. Mein Handy war nur noch am Klingeln, Menschen aus dem Dorf standen mit Kleidung vor der Tür. Es sind sogar Jugendliche mit einem Mofa und Anhänger angefahren und haben uns Kleidung gebracht. Es war einfach überwältigend. 🙂 Danke an alle! Jeder hat geschaut und nachgefragt, was unsere Flüchtlinge noch brauchen.
Schulbesichtigung
Was für eine tolle Rektorin. Am Sonntag hat sie für alle Kinder und deren Verwandte eine Schulbesichtigung angeboten. Am Montag durften dann die Kinder in die Schule gehen. Nachmittags waren wir dann bei der befreundeten Dolmetscherin unserer Familie zum Kaffee und Kuchen eingeladen. Es war sehr schön, an diesem Nachmittag mehr über die ukrainische Kultur zu erfahren. Die insgesamt 6 Kinder haben draußen gespielt.
Wir konnten dann auch gut übersetzen lassen, dass die Familie sehr gerne auch in unseren oberen Räumen sich aufhalten darf (Wohn-Essbereich und natürlich die Terrasse benutzen) so etwas ist dann auch besser mündlich übersetzt als mit der Google-Translation-App. Wir haben es ihnen bereits mehrmals geschrieben, dass sie doch bitte hochkommen sollen auf die Terrasse etc.
Nach diesem Tag war es dann ich lockerer. Klar, man muss sich erst aneinander gewöhnen und kennenlernen.
Kennenlernen
Die Familie kommt immer mehr in unserem Alltag an.
Zwischenzeitlich warten wir auf die Steuer-ID, um ein Konto zu eröffnen, das bevorstehende Vorstellungsgespräch und den Termin beim Migrationsamt am 31.3 um die Aufenthaltserlaubnis zu beantragen.
Wir erhalten nach 9 Tagen Gutscheine vom Edeka. Das nehmen wir dankend an. Gemeinsam gehe ich sodann mit den Frauen einkaufen. Sie möchten wir uns kochen. Darauf freuen wir uns sehr.
Es sind mittlerweile viele Angebote geplant. Ein Gottesdienst, ein Allweltscafé, Kleiderannahmestellen, extra WhatsApp Gruppen für Kleiderannahme usw. Jeder versucht was auf die Beine zu stellen, um den Menschen die Integration so gut es geht zu ermöglichen.
Anmeldung beim Bürgerbüro
Unsere Dolmetscherin hat für die Anmeldung beim Bürgerbüro die Fragen aufgeschrieben, sodass man sich darauf vorbereiten kann:
Name
Vorname
Geburtsdatum
Geburtsort
Ledig/verheiratet/ geschieden
Religion
Ankunftsdatum (in Deutschland)
Meldeadresse